Museum hinter den Objekten

Das Museum ist ein Ort, an dem aus Objekten Sehenswürdigkeiten werden. Von sich aus zeigen diese im allgemeinen keine Ambitionen, betrachtet zu werden. Umso sorgfältiger wird alles darauf ausgerichtet, daß die Objekte von einem Publikum geschaut werden können. Dabei bleiben die praktischen Bedingungen für ihre Anwesenheit meist vollkommen im Dunkeln, fast als wäre die Existenz von Museen mit ihren Sammlungs- und Präsentationsweisen ein Naturgesetz. Doch natürlich ist in einem Museum gar nichts. Alles ist hier das Ergebnis einer Kulturtechnik, die ganz darauf beruht, etwas zu sehen zu geben, etwas zur Schau zu stellen, ohne aber die damit verbundenen Voraussetzungen transparent zu machen.

Blickt man hinter die Fassade, ist das Museum mehr als ein Ort des passiven Konsumierens kulturell bedeutsamer und ästhetisch aufgeladener Objekte. Bei genauem Hinsehen entpuppt es sich als Generator, in dem Wissen und Welterkenntnis auf eine ganz spezifische Weise generiert werden. Schon die Anwesenheit eines banalen Objektschildes lenkt den Blick des Publikums auf wohlüberlegte Weise. Ob eine Truhenfront aus dem 16. Jahrhundert den Zusatz trägt „mit hessischem Wappen“ oder „von Holzkäfern zerfressen“ hat unweigerlich Auswirkungen auf die Betrachtungsweisen des Besuchers.

Das Kasseler MuseumsABC richtet daher seinen Blick nicht in erster Linie auf die Objekte. Sie bilden nur den Ausgangs- und Schnittpunkt für die Beschäftigung mit den Praktiken, die das Museum als Institution diktiert. Die hinter den Objekten liegenden Verfahren für einen Moment transparent zu machen, und so die Umstände ihres Vorhandenseins und die Bedingungen, unter denen man ihrer ansichtig werden kann, aufzudecken, war die Idee des MuseumsABCs. Jede spezifische Objektsituation erweist sich aus dieser Perspektive als Ergebnis einer museologischen Konstellation, in der die räumliche und institutionelle Ordnung, die handelnden Personen und die wissenschaftlichen und ökonomischen Praxen zusammenfließen. Das Museum wird so zu einem vieldimensionalen Ort – der Betrachtung und Versenkung, der Erkenntnis und Inspiration, des Ordnens und Systematisierens, des Popularisierens und des Präsentierens, des Bewahrens und des Bewachens, der Obsession und der Repräsentation.

Da der Blick hinter die Objekte nur im Kontext der ausgestellten Sammlungen möglich ist, funktioniert das MuseumsABC nach dem Prinzip der Intervention oder der kommentierenden Fußnote. Es ist in die Dauerausstellungen der unterschiedlichen Sammlungsstandorte hineinkomponiert, nicht zuletzt um ihnen etwas hinzuzufügen, das hilft, einen Blick auf das Museum in seiner ganzen Befremdlichkeit zu erhaschen. Der Gewinn einer solchen Verfremdung liegt vielleicht zuallererst in der produktiven Verunsicherung dessen, was eigentlich zu sehen ist – in einem Museum und durch das Museum.

Nicola Lepp

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